Harald Etzbach
Auch in den Ländern Westasiens sind die Auswirkungen des Krieges in Europa auf vielfache Weise spürbar: Die Preise für Lebensmittel und Energie steigen, Dinge des täglichen Bedarfs werden knapp. In Syrien fühlen sich viele Menschen an den Krieg im eigenen Land erinnert: Die grauenhaften Bilder der belagerten und zerstörten ukrainischen Städte ähneln denen von Aleppo. Zugleich fällt auf, welch geringe Bedeutung die Kriege und Konflikte in der Region für die internationale Öffentlichkeit zu haben scheinen – sei es die fortwährende Bombardierung in Teilen Syriens, der Einmarsch des NATO-Mitglieds Türkei im Nordirak, der Krieg im Jemen oder die fortwährende Besetzung palästinischen Territoriums durch Israel.
Unterdessen Zeit nehmen die politischen Eliten der Region weitgehend eine abwartende und ambivalente Haltung ein, die ihren geopolitischen und ökonomischen Interessen am ehesten zu entsprechen scheint.
Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE): «Diversifizierung der Außenpolitik»<
Saudi-Arabien, offiziell ein Verbündeter der USA in Westasien, hat bisher den russischen Einmarsch in die Ukraine nicht verurteilt. Offenbar befürchtet man in Riad, die seit längerer Zeit gewachsenen guten Beziehungen zu Russland zu belasten oder gar zu gefährden. So war Wladimir Putin 2007 der erste führende russische Politiker, der das Königreich besuchte. Zehn Jahre später erwiderte der saudische König Salman ibn Abd al-Aziz den Besuch in Moskau. Auch unter Kronprinz Mohammed bin Salman wurden die Staatsbesuche fortgesetzt.
Auf der anderen Seite hat sich die Beziehung zwischen Saudi-Arabien und den USA in den letzten Jahren zusehends abgekühlt. Gerade in jüngster Zeit kam es zu massiven Verstimmungen im Zusammenhang mit dem Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Kashoggi. Auch dass die USA die Nuklearverhandlungen mit dem Iran wieder aufnahmen, ohne die arabischen Golfstaaten zu konsultieren, stieß in Riad auf wenig Begeisterung. Unter diesen Umständen verwundert es nicht, dass US-amerikanisches Lobbying mit dem Ziel einer klaren Verurteilung des russischen Angriffskriegs durch Saudi-Arabien letztlich erfolglos blieb.
Jenseits dieser tagespolitischen Entwicklungen betrachten Saudi-Arabien und andere Golfstaaten aber auch aufmerksam die seit Längerem diskutierten Pläne einer Reduzierung der Präsenz der USA in der Region zugunsten eines stärkeren Engagements im pazifischen Raum. Für die herrschenden Eliten am Golf waren die USA seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht nur Hegemonial-, sondern auch Schutzmacht. Die Sorge, dass der dieser Beziehung zugrunde liegende Deal «Öl gegen Sicherheit» durch die USA aufgekündigt werden könnte, hat dazu geführt, dass die Golfstaaten begonnen haben, sich auf die Suche nach alternativen oder zumindest ergänzenden Lösungen zu begeben.
Im Zusammenhang dieser Strategie einer Diversifizierung der Außenpolitik beschlossen Saudi-Arabien und Russland 2021 eine Vereinbarung zur militärischen Kooperation. Trotzdem blieben die saudisch-russischen Verbindungen weiter im Schatten der Beziehungen des Königreichs zu den USA. So scheiterte 2017 der Plan zum Kauf russischer S400-Luftabwehrsysteme, Saudi-Arabien kaufte stattdessen für 15 Mrd. Dollar das US-amerikanische Abwehrsystem THAAD (Terminal High Altitude Area Defense).
Von zentraler Bedeutung ist für Saudi-Arabien kurz- und mittelfristig die Zusammenarbeit mit Russland im Rahmen des OPEC+-Abkommens, denn die Kontrolle über Erdölfördermengen ermöglicht es, die wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie abzumildern. Darüber hinaus ist sie ein beständiges Druckmittel in der Beziehung zu den USA.
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) – ebenfalls eigentlich dem «westlichen Lager» zugehörig – hatten sich im UNO-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über die Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine der Stimme enthalten. Auch die Emirate lassen seit Längerem eine größere Nähe zu Russland erkennen. 2018 wurde zwischen beiden Ländern ein Kooperationsvertrag zur Stabilisierung der Erdölpreise unterzeichnet, ein Jahr später folgten Verträge über Investitionen in Höhe von 1,3 Mrd. Dollar in den Bereichen Energie, Technologie und Gesundheit. 2021 gingen 90 Prozent der gesamten russischen Investitionen in arabischen Ländern in die VAE. Umgekehrt sind die VAE der größte arabische Investor in Russland mit einem Anteil von mehr als 80 Prozent der Investitionen aller arabischen Länder in Russland. Auch in Bezug auf den Schauplatz Syrien gibt es eine Annäherung Russlands und der VAE, denn diese spielen eine führende Rolle bei der Rehabilitierung des von Russland gestützten Regimes in Damaskus.
Auch die VAE sind in den letzten Jahren zunehmend auf Distanz zu den USA gegangen, und so blieb dann auch ein im Vorfeld der Entscheidung im Sicherheitsrat formulierter Appell des US-amerikanischen Außenministers Blinken, die VAE sollten sich an «einer entschlossenen internationalen Reaktion zur Unterstützung der ukrainischen Souveränität» beteiligen, in Abu Dhabi ungehört. Unter anderem werfen die VAE den USA vor, sie im Jemenkrieg nicht ausreichend zu unterstützen und die emiratischen Interessen in den Verhandlungen mit dem Iran zu wenig zu berücksichtigen. Symptomatisch für diese Entwicklung ist ein geplatzter Waffendeal im letzten Jahr, bei dem die VAE auf den Kauf von 50 US-amerikanischen F35 Kampfjets und anderem Kriegsgerät im Wert von 23 Mrd. Dollar verzichtete, nachdem es keine Einigung bei Fragen des Technologietransfers gab. Der Kauf der US-Kampfjets war den VAE im Zuge ihrer Normalisierungsbemühungen mit Israel angeboten worden.
Israel: «Offener Himmel» und russische Investoren
Auch Israel nahm nach dem russischen Überfall auf die Ukraine zunächst eine Haltung der Äquidistanz ein. Der engste Verbündete der USA in Westasien verhängte keinerlei Sanktionen gegen Russland und lehnte auch eine militärische Unterstützung der Ukraine ab. Auch für die Resolution der UN-Vollversammlung zur Verurteilung des russischen Einmarsches in das Nachbarland stimmte Israel erst nach einigem Zögern. Stattdessen reiste Premierminister Naftali Bennett drei Tage später zu einem kurzen Gespräch nach Moskau. Mitte März legte Bennett dann einen aus 15 Punkten bestehenden «Friedensplan» vor, der im Wesentlichen einen Verzicht der Ukraine auf eine Mitgliedschaft in der NATO sowie auf die Errichtung von NATO-Stützpunkten auf ihrem Territorium beinhaltete. Die Ukraine solle ihre Neutralität erklären und ihre Streitkräfte begrenzen. Eine Regelung für die Krim und die von Russland besetzten Gebiete in der Ostukraine enthielten die 15 Punkte nicht. Die Ukraine solle dabei nicht näher definierte Sicherheitsgarantien von Staaten wie den USA, Großbritannien oder der Türkei erhalten. Sicherheitsgarantien des Westens hatte die Ukraine allerdings schon einmal 1994 im sogenannten «Budapester Memorandum» als Gegenleistung für die Aufgabe der im Land stationierten Atomwaffen erhalten. Dies hielt Russland 2014 bekanntlich nicht davon ab, die Krim zu annektieren.
Dass der Plan scheitern würde, war daher absehbar. Vertreter*innen der ukrainischen Regierung warfen Bennett vor, er wolle die Ukraine zur Kapitulation zwingen.
Einer der wichtigsten Gründe für den Spagat der israelischen Regierung dürfte die Tatsache sein, dass Israel in Syrien «eine Art Grenze zu Russland» hat, wie es der israelische Außenminister Yair Lapid Ende Februar in einem Interview mit der Jerusalem Post formulierte. In Syrien profitiert Israel seit Jahren von einer Übereinkunft mit Russland, das den dortigen Luftraum kontrolliert, aber israelische Angriffe auf Stellungen der iranischen Armee oder auf Konvoys mit Waffenlieferungen an die Hisbollah im Libanon toleriert. Sanktionen gegen Russland, so befürchtet man in Israel, könnten diese «Politik des offenen Himmels» beenden. Als daher Mitte Mai israelische Kampfjets, die von einem Einsatz in Syrien zurückkehrten, mit einer Rakete aus einem russischen S-300-Luftabwehrsystem beschossen wurden, wurde dies allgemein als Warnung vor einer politischen Unterstützung der Ukraine durch Israel verstanden. Der Zwischenfall, bei dem keines der israelischen Flugzeige beschädigt wurde, blieb bisher allerdings der einzige dieser Art.
Allerdings hatte Israel auch zuvor schon eine eigenständige Politik gegenüber Russland betrieben. So weigerte sich 2014 der damalige Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, die Annexion der Krim zu verurteilen – achtzehn Monate vor dem Beginn des russischen Militäreinsatzes in Syrien.
Beobachter*innen nennen allerdings auch innenpolitische Gründe für Israels Zurückhaltung: Der ökonomische Einfluss einiger russischer Oligarchen und ihre engen Beziehungen zu führenden israelischen Politiker*innen. Es gibt Schätzungen, dass diese Geschäftsleute in den letzten 30 Jahren Investitionen vorgenommen haben, die sich in einer Größenordnung zwischen 5 und 10 Prozent des israelischen BIP bewegen. Mitte März veröffentlichte die linksliberale israelische Tageszeitung Haaretz einen längeren Beitrag, in dem einige dieser Verbindungen aufgedeckt werden. So war zum Beispiel Verteidigungsminister Benjamin Gantz vor seinem Wechsel in die Politik Vorsitzender des Start-up Unternehmens Fifth Dimension, das Systeme der künstlichen Intelligenz für militärische, staatliche und zivile Geheimdienstanwendungen entwickelte. Einer der Hauptinvestoren war hierbei der russische Oligarch und Putin-Vertraute Viktor Wechselberg, Haupteigentümer der Unternehmensgruppe Renova mit Beteiligungen in den Sektoren Bergbau, Öl, Energie und Telekommunikation.
Auch der als Käufer des britischen Fußballklubs FC Chelsea bekannt gewordene Roman Abramowitsch – er stammt ebenfalls aus dem engeren Kreis um Putin – hat massiv in Israel investiert. 2018 nahm er die israelische Staatsbürgerschaft an. Seitdem hat Abramowitsch Hunderte von Millionen Dollar an unterschiedliche israelische Organisationen gespendet, darunter ein großes Krankenhaus, die Universität Tel Aviv und die Siedlerorganisation Elad, der vorgeworfen wird, an der Vertreibung von Palästinenser*innen in Ost-Jerusalem beteiligt zu sein. Zwei Tage vor dem russischen Angriff auf die Ukraine hatte Abramowitsch der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem noch eine Spende in Höhe von drei Millionen Dollar angeboten. Mittlerweile hat die Leitung der Gedenkstätte allerdings beschlossen, Abramowitschs Geschenk abzulehnen und die «strategische Partnerschaft» mit ihm auszusetzen.
Türkei: geostrategisch in der Klemme
Türkisch-russische Konflikte entstanden in den letzten Jahren vor allem in Syrien und Libyen. Allerdings gibt es zwischen beiden Ländern mittlerweile auch enge Verbindungen auf ökonomischer und militärischer Ebene: So baut etwa die Rosatom-Holding, ein Unternehmen des russischen Staates, seit 2018 ein Kernkraftwerk in Akkuyu an der türkischen Mittelmeerküste. Finanziert wird das 20-Milliarden-Dollar-Projekt, das einmal zehn Prozent des türkischen Energiebedarfs decken soll, von der ebenfalls größtenteils staatlichen Sberbank, gegen die die USA und die EU Sanktionen verhängt haben. Zugleich ist die Türkei in hohem Maße abhängig von Erdgas aus Russland, derzeit stammen etwa 45 Prozent der Erdgasimporte von dort.
2017 unterzeichnete die Türkei zudem einen Vertrag zum Kauf des russischen Raketenabwehrsystems S-400, sehr zum Missfallen der NATO, die die Türkei daraufhin vom Programm zur Entwicklung des F35-Kampfjets ausschloss. Aktuell verhandeln die Türkei und Russland offenbar über eine zweite Lieferung von S-400-Systemen.
Allerdings gibt es auch mit der Ukraine eine intensive wirtschaftliche und militärisch-technische Kooperation. So ist die Türkei mit Investitionen in Höhe von 3,6 Milliarden Dollar im Jahr 2020 der größte ausländische Investor in der Ukraine. 2019 unterzeichnete die ukrainische Regierung mit der Türkei einen Vertrag über den Kauf von Bayraktar-Drohnen im Wert von 69 Millionen US-Dollar. Für die Drohnen soll es zudem ein gemeinsames Schulungs- und Wartungszentrums in der Ukraine geben. Erste Gespräche fanden zudem über die gemeinsame Produktion von Korvettenschiffen und AN-178-Militärtransportflugzeugen sowie von Turbinentriebwerken statt.
Eine große Bedeutung für die Positionierung der Türkei gegenüber Russlands Krieg dürfte auch die Situation in Syrien spielen. Hier befindet sich die Türkei, die im Norden des Landes in mehreren Regionen militärisch präsent ist, in einem latenten Konflikt mit den USA, die die von kurdischen Kräften dominierten Syrisch Demokratischen Streitkräfte (SDF) unterstützen. Für den türkischen Staat jedoch sind die SDF-Kämpfer*innen schlicht Terrorist*innen, und die kurdische Autonomieverwaltung stellt einen gefährlichen Präzedenzfall dar. Neuere Berichte sprechen von möglichen Gesprächen der türkischen Regierung mit dem Assad-Regime, das ebenfalls kein Interesse an einer kurdischen Autonomie hat.
In dieser Situation hat der türkische Präsident Erdoğan Ende Mai eine militärische Offensive zur Schaffung einer 30 Kilometer breiten Pufferzone in Nordsyrien angekündigt. Die Pläne für diese Operation liegen angeblich seit 2019 vor, doch dürfte der jetzt gewählte Zeitpunkt damit zusammenhängen, dass die russische Präsenz in Syrien durch den Krieg in Europa geschwächt ist. Zudem kann die türkische Regierung nun ihr Vetorecht gegen die NATO-Beitrittsgesuche Finnlands und Schwedens als Verhandlungsmasse einsetzen, um sich die zumindest stilschweigende Zustimmung der USA zu sichern.
Trotzdem bleibt die Türkei in Syrien verwundbar. Sollte Russland die im Nordwesten des Landes bestehende Kooperation mit der Türkei aufkündigen und die Provinz Idlib angreifen, würde dies zwei Millionen Menschen in Richtung türkische Grenze drängen. Geostrategisch befindet sich die türkische Führung offenbar in einer Klemme. So hat sie die russische Invasion zwar verurteilt und die Meerengen Bosporus und Dardanellen für russische Kriegsschiffe und schließlich sogar ihren Luftraum für russische Militär- und Zivilflugzeuge auf dem Weg nach Syrien gesperrt, ohne sich jedoch den Sanktionen gegen Moskau anzuschließen. Im Gegenzug kam Russland der Türkei in Syrien entgegen, indem es Berichten zufolge dem Drängen des Assad-Regimes zu einer weiteren Eskalation der Angriffe auf Idlib nicht nachgab.
Syrien: ein geteiltes Land
Dass das Assad-Regime in Syrien sich vorbehaltlos hinter Russland stellen würde, verwundert nicht. Syrien ist eines der fünf Länder, die in der UN gegen eine Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine gestimmt haben. Der russische Krieg sei eine «Korrektur der Geschichte» und bedeute die «Wiederherstellung des Gleichgewichts» der Zeit nach dem Kalten Krieg, hieß es aus Damaskus. In mehreren Städten wurden zudem prorussische Demonstrationen organisiert. Ganz andere Reaktionen als in den vom Regime kontrollierten Gebieten gab es in der von oppositionellen Gruppen gehaltenen Provinz Idlib im Nordwesten des Landes. Dort waren auf den Demonstrationen zum 11. Jahrestag der Revolution auch einige ukrainische Fahnen und Transparente zu sehen, auf denen Solidarität mit der Ukraine bekundet und Maßnahmen gegen Russland gefordert wurden. Die syrische Zivilschutzorganisation der «Weißhelme» hatte bereits einen Tag vor Beginn des Kriegs eine Erklärung veröffentlicht, in der die Befürchtung geäußert wird, dass russische Waffen, die an Syrer*innen getestet wurden, bald auch in der Ukraine angewendet würden.
Für einige dem Assad-Regime nahestehende Geschäftsleute wie auch für das Regime selbst dürften die vom Westen gegen Russland erlassenen Sanktionen Probleme mit sich bringen, denn russische Banken hatten nach 2011 Zuflucht für syrisches Kapital geboten. Der Ausschluss russischer Banken aus dem internationalen SWIFT-Transaktionssystem führt jetzt dazu, dass die Möglichkeiten dieser Banken und damit auch ihrer syrischen Einleger*innen, internationale Geschäfte zu tätigen, deutlich begrenzt werden. Gravierender sind die Auswirkungen des russischen Kriegs gegen die Ukraine allerdings für den ärmeren Teil der syrischen Bevölkerung. Bereits zwischen Januar 2021 und Januar 2022 waren die Lebensmittelpreise um 86 Prozent gestiegen. Nach der russischen Invasion in der Ukraine kam es in einigen syrischen Regionen erneut zu einem Anstieg bis zu 67 Prozent. Zudem gibt es Engpässe bei Sonnenblumenöl, Zucker und Mehl. Angezogen haben auch die Treibstoffpreise. Ende März erhöhten die zuständigen staatlichen Stellen zudem die Preise für subventionierte Produkte.
Iran: «Blick nach Osten»
«Weder Ost noch West, Islamische Republik» war ein berühmter Slogan der iranischen Revolution; noch heute prangt er über dem Hauptportal des Außenministeriums in Teheran. Tatsächlich jedoch kam es schon bald wieder zu einer Annäherung zwischen dem Iran und Russland, bereits 1986 nahmen beide Länder wieder direkte Gespräche miteinander auf. In den letzten Jahren hat sich diese Orientierung «nach Osten» infolge der unter der früheren Trump-Regierung durchgesetzten wirtschaftlichen Isolation des Iran noch verstärkt.
In ihren Stellungnahmen zum russischen Angriff auf die Ukraine orientierte sich die iranische Führung weitgehend an dem aus Moskau vorgegebenen Sprachgebrauch. So äußerte etwa Präsident Ebrahim Raisi Verständnis für russische «Sicherheitsbedenken», und der staatliche Auslandsfernsehsender Press TV nannte den russischen Angriffskrieg in seiner englischen Ausgabe euphemistisch «Ukraine-Russland-Konflikt» oder «militärische Operation».
Diese Position ist freilich nicht unumstritten. So veröffentlichte etwa die staatlich gelenkte Tageszeitung Jomhour Eslami einen Artikel unter der Überschrift «Der Widerstand der ukrainischen Bevölkerung und des Militärs gegen die Invasion der russischen Aggressoren». Andere Kritiker*innen warfen der Regierung einen Mangel an Unabhängigkeit vor. Sie verweisen darauf, dass Moskau sehr konsequent eigene Pläne verfolge, notfalls auch ohne die Interessen des Iran zu berücksichtigen.
So hatte Russland im Zusammenhang mit den Wiener Verhandlungen über eine Wiederbelebung des Atomabkommens mit dem Iran eine schriftliche Garantie gefordert, dass Sanktionen infolge des Angriffs auf die Ukraine nicht die russisch-iranische Nuklearzusammenarbeit treffen werden. Von diesem russischen Vorstoß, der zu einer weiteren Verzögerung der Verhandlungen führte, war anscheinend auch die iranische Seite überrascht.
Kritik gibt es auch an einem geplanten 25jährigen Kooperationsabkommen zwischen den beiden Ländern. Die Vereinbarung sieht eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Teheran und Moskau in den Bereichen Sicherheit, Verkehr und Handel vor. Befürchtet wird ein «Ausverkauf» des Iran an Russland als Gegenleistung für militärische Unterstützung. Tatsächlich hatten sich russische Firmen bereits im November letzten Jahres im Rahmen eines anderen Vertrages den Löwenanteil an der Ausbeutung eines neu entdeckten riesigen Gasfeldes im iranischen Teil des Kaspischen Meeres gesichert. Nach russischen Berechnungen wird der Wert der Gasexporte mindestens 450 Milliarden US-Dollar über die 20-jährige Laufzeit des Abkommens betragen.
Zivilgesellschaftliche Meinungsbekundungen gab es angesichts der allgemeinen Repression verständlicherweise nur wenige: Ende Februar allerdings kam es zu Protestkundgebungen vor der ukrainischen Botschaft in Teheran.
Ein erster Ausblick
Noch ist nicht absehbar, welche langfristigen Auswirkungen Russlands Krieg gegen die Ukraine in Westasien haben wird. Daher nur einige vorläufige und kurze Überlegungen: Auch wenn viele Regierungen der Region in der Vergangenheit eine Annäherung an Russland vollzogen haben, wird dies keine grundlegende Veränderung der hegemonialen Struktur in Westasien zur Folge haben. Russland ist ökonomisch – und wie sich im derzeitigen Krieg gezeigt hat, auch militärisch – zu schwach, um an die Stelle der USA zu treten. In Syrien, das im Augenblick faktisch ein russisches Protektorat ist, versucht der Iran bereits jetzt, die Schwäche Russlands auszunutzen und seine eigene Präsenz deutlich auszubauen. Leidtragende wird hierbei erneut die Zivilbevölkerung sein. Die Golfstaaten können kurz- und mittelfristig vom Ölboom profitieren und ihre Verhandlungsposition – etwa in Bezug auf den Jemen – stärken. Der Ausfall russischer und ukrainischer Getreidelieferungen wird zu einer weiteren Verschlechterung für die Ernährungssituation der Bevölkerung führen. Zusammen mit einer Reduktion oder dem Ausbleiben von Hilfslieferungen (da die Situation in der Ukraine Priorität hat) könnte dies zu einem erneuten Aufflammen der Protestbewegungen führen. Die demokratischen und fortschrittlichen Bewegungen der Region stehen vor neuen Herausforderungen. Sie werden sich ihnen nur stellen können, wenn sie neue Formen der regionalen und internationalen Koordination und Kooperation entwickeln.